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Von Rudolf Heynemann- hierzu drei Aufnahmen.
(„Die Woche" Nr. 52/1916)
 

Das schwere Feuer von drüben schöpft Atem. Kein Schuß kommt aus dem jenseitigen Graben. Nur fern, ganz fern hämmern Maschi- nengewehre, und ein verirrter Kanonenschuß erinnert an den Krieg, der keinen Feierabend kennt. Um ein kleines Licht im verräucherten Unterstand liegt eine Gruppe alter Soldaten. Die Augen blicken auf den Rauch der Pfeife, und ein „Junger" liest die Zeitung vor. Von Weihnachtsammlungen ist die Rede. Ein alter Wehrmann klopft nachdenklich die Pfeife aus. Es ist das dritte Weihnachten, das er im feldgrauen Rock feiert. Einmal in Flandern, einmal im Lazarett und nun wieder im Felde. Morgens kommt der Feldwebel. „Zwei Mann zum Holzfällen in den Wald!" Fragend blickt er um sich. „Aber ein paar Sachverständige, der Weihnachtsbaum soll geholt werden!" Sofort sind mehr Freiwille vorhanden, als zu dem beliebten Geschäft notwendig sind. Mit geübten Augen hat sich die Kompagniemutter zwei Mann gefaßt. „Beilpicken mitnehmen und dann abmarschiert!"

An einer Waldschneise steht eine schön- gewachsene Tanne. Die wird auserwählt und gekappt. Sorgsam, als handle es sich um eine eroberte Fahne, wird das weihnachtliche Prunkstück heimgebracht. Heute ist der selbst so peinliche Feldwebel zufrieden. Inzwischen sind die Künstler oder Angehörigen verwandter Berufe aufgerufen worden und bemächtigen sich des Baumes. Diesmal führt der Hauptmann die Aufsicht. Als Vater der Kompagnie muß er die Baumschmückung selbst leiten.Draußen erhebt sich ein Freudengeschrei. Mißmutig tritt der „Häuptling" an das Fenster, aber sofort hellen sich seine Mienen auf. Der Festbraten ist angekommen! Ein hübsches Kalb schleppt man zum Kompagniemetzger, der dem Festopfer liebevoll den Hals krault. Und wieder kommt ein Jubeln zum Gehör des Kompag- niegewaltigen; der Weihnachtsmann ist da! Eben ist ein Unter- offizier gekommen. Beladen und behängt.

Am Brotbeutelband, am Koppel, an den Taillenhaken, an den Knöpfen, überall hat er Päckchen angehängt, aus den Seitentaschen lugen zwei Flaschenhälse verräterisch hervor, und das Gerücht erzählt, sogar in den Hosentaschen hat er noch zwei versteckt. Die Rechte stützt sich auf einen derben Knotenstock, und in der Linken trägt er noch einige Pakete. So sieht der Weihnachtsmann aus. Eine ganze Rotte Korah drängt sich um den Weihnachtsmann. „Was ist für mich...für mich...nichts für mich"" So fragt es durcheinander, und je mehr gefragt wurde, desto geheimnisvoller tut er und...verschwindet hinten im Hofe, wo schon eine reiche Sammlung von Paketen und Kisten aller Art aufgestapelt ist.

Der Furier steht dabei und überwacht das Sortieren.Und dann kommt die Nacht. Der Kalbsbraten wird ausgegeben, im Tee ist Rum und Rotwein. Alles aus Anlaß des Tages. Endlich kommt der Befehl zum Antreten. Es geht rascher als bei Alarm. Der Baum erstrahlt in hellem Glanz. Im offenen Viereck wird angetreten, und der Kompagnieführer redet zu den Seinen. Knapp und mit wenigen Sätzen. Die Sängerschar tritt vor den Baum, und der Schulmeister in der Kompagnie und zugleich Gesangslehrer schwingt den Taktstock. Nie ist das alte Weih- nachtslied von der stillen heiligen Nacht wehmütiger und an- dächtiger gesungen worden. Der ferne Donner der Geschütze begleitet den Gesang.


„So, Leute" sagt der Hauptmann, „nun bekommt jeder seine Geschenke. Und dann...wird ein Faß Bier angesteckt. Laßt´s euch gut schmecken!" Das Verlesen der Pakete besorgt der Feldwebel selbst. Alle erhalten eine Gabe, und wenn es nur die aus den allgemeinen Sammlungen heraus sind. Ein paar Vergessene sind besonders bedacht worden. Auch nebenan im Feldlazarett ist der Weihnachtsengel eingekehrt. der Lichterbaum glänzt, Gaben sind verteilt, und in den rauhen Männergesang klingt der Sopran der treuen Schwestern, die hier, dicht am Feind, das Werk der Menschenliebe pflegen. Weihnachten an der Front, in Feindesland...!


(Reichsarchiv, Schlachten des Weltkriegs, Band 18 „Argonnen")
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Das Schicksal hatte wie Stahl gehärtet; die Führer taten gut, der veränderten Psyche Rechnung zu tragen! General v. Mudra fand, wie immer, die richtige Tonart, wenn er am Weihnachtsfest, das geeignet war, eine weichere Stimmung aufkommen zu lassen, und das seinen hellen Schein auch in das rauhe Kriegs- und Waldleben warf, seinen Truppen zurief: „Eure Weihnachtsglocken sind die donnernden Geschütze, Euer Weihnachtsbaum ist die zerfetzte Föhre in den Argonnen." Dieses Leben, das die Argonnentruppen seit Monaten führten, duldete keinen Luxus, auch nicht den des Gefühls.

Alles war auf Sachlichkeit eingestellt; das Heldentum zeigte und bewährte sich in höchst nüchternen Dingen: Entbehrungen, Hunger, Nachtwachen, Schanzarbeit und Trägerdienst. Wohl gab es beim Sturmangriff Momente, die auch den stumpfen Geist zum Heroismus emporrissen, aber das waren Ausnahmen. Im allgemeinen bestimmten nur zwei seelische Faktoren das Leben im Schützengraben: Disziplin und Pflichtgefühl.

Und wenn in dies eintönige, mühselige Dasein hin und wieder der Schimmer eines Glücksgefühls fiel, so war die Veranlassung dazu auch sehr prosaischer und materieller Art; solche Lichtblicke gab es schon, wenn das Essen mal warm und reichlich war, wenn die Feldpost Liebesgaben brachte, wenn der vom Posten- und Schanzdienst ermüdete Mann durchnäßt in seinen mit Laub und Decken ausgepolsterten Unterstand kroch und dort beim Scheine eines brennenden Kerzenstumpfes sich am Holzkohlenfeuer wärmen und seine müden Glieder zu kurz bemessenem Schlaf ausstrecken oder mit den Kameraden eine Stunde verplaudern konnte


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Link:
„Weihnachten in grauer Zeit"
Weihnachtsausstellung im Museum Viadrina in Frankfurt/Oder
04.12.2003-11.01.2004
http://www.museum-viadrina.de/Wechselausstellungen/2003-04/Weihnachtsausstellung.html